Ich bin Filipe Muatocuene, geboren im September 1989 in der Stadt Quelimane in der Provinz Zambézia (Mosambik). Ich komme aus einer sehr einfachen Familie. Mein Vater verdiente seinen Lebensunterhalt durch Feldarbeit und war nebenbei viele Jahre Pastor der evangelischen Kirche in Mosambik (Igreja Evangelica de Cristo). Meine Mutter arbeitete gemeinsam mit meinem Vater auf dem Feld, damit die Familie versorgt war. Sie verstarb, als ich vierzehn Jahre alt war.
Da mein Vater als Pastor in Gemeinden an verschiedenen Orten eingesetzt wurde, habe ich meine Schulzeit an 3 verschiedenen Schulen absolviert.
Wenn ich mich an meine Schulzeit erinnere, denke ich oft mehr daran, was ich erlebt (oder auch ertragen) habe, als an das, was ich gelernt habe. Ein paar Erinnerungen dazu, möchte ich gerne teilen.
Unser Klassenraum war ein leerer Raum mit Steinen oder Ziegeln, auf denen wir saßen. Die Hefte hatten wir beim Schreiben auf den Knien. Oft kamen wir mit zerrissener Kleidung und barfuß zur Schule – oder auch mal mit zwei verschiedenen Schuhen. Das störte uns aber nicht. Hauptsache, man hatte welche an, denn oft war die Sonne so heiß, dass alles besser war, als sich die Füße an der heißen Erde zu verbrennen.
Von der ersten bis zur siebten Klasse hatten wir einen festen Tagesablauf:
Gleich als Erstes haben wir unseren Klassenraum aufgeräumt. Zum Fegen machten wir uns einfache Besen aus dünnen Zweigen oder brachten uns einen von zu Hause mit. Anschließend mussten wir uns alle auf dem Schulhof aufstellen und der Schuldirektor kontrollierte, ob wir uns gewaschen und die Haare gekämmt hatten.
Dann wurden wir in „sauber“ und „dreckig“ unterteilt und bekamen ggf. unsere Sanktionen. Anschließend sangen wir gemeinsam die Nationalhymne, bevor wir klassenweise aufgerufen wurden und in einer geordneten Reihe in unseren Klassenräume gingen.
Auch samstags mussten wir in die Schule kommen, um praktische Arbeiten zu erledigen. Wir bauten zum Beispiel die Latrinen für die Schule oder halfen beim Hausbau der Lehrer mit.
Wenn jemand eine der Schulregeln brach, gab es entweder Schläge auf die Hände oder den bloßen Rücken. Für denjenigen, der zu spät zur Schule kam oder die Hausaufgaben vergessen hatte, gab es zehn Schläge auf die Hände. Wir mussten Stöcker von zu Hause mitbringen, um an der Tafel Dinge zu zeigen. Die gleichen Stöcker wurden auch zum Schlagen verwendet. Einige Lehrer ließen uns kleine Steine suchen, auf die wir uns knien und gleichzeitig die Arme hochhalten mussten. Wurden die Arme schwach und der Lehrer sah das, gab es Schläge mit den Stöckern. Die Bestrafungen fanden im Beisein der Klasse statt, sodass die Bestraften zugleich gedemütigt wurden.
Dass wir keine Hausaufgaben gemacht hatten, kam allerdings häufig vor, da wir niemanden hatten, der uns bei den Hausaufgaben helfen konnte. Daher fühlten wir uns gezwungen zu lügen oder eine Krankheit zu erfinden, um den Strafen zu entgehen. Manchmal erzählten wir unseren Eltern, dass wir in die Schule gingen, während wir uns in Wirklichkeit auf den Weg zum Fluss machten, um zu schwimmen oder die nassen Felsen herunterzurutschen.
Ab der achten Klasse änderten sich die Bedingungen. Es gab keine körperlichen Strafen mehr. Stattdessen wuchs der psychische Druck: Wir wurden von den Lehrern oft beleidigt oder aus der Klasse verbannt. Manchmal mussten auch unsere Erziehungsberechtigten mit zur Schule kommen. In den Fällen zogen wir es vor, einen Onkel mitzunehmen, damit wir nicht zu Hause ein zweites Mal von unseren Vätern bestraft werden würden.
Ich habe aber auch schöne Erinnerungen an die Schulzeit. Jedes Mal, wenn der Unterricht in der Grundschule zu Ende ging, sangen wir: „Der Unterricht ist schon vorbei, jetzt gehen wir nach Haus“ (auf Portugiesisch: „A nossa aula já acabou, agora vamos para casa“). Zum Schluss riefen wir alle im Chor: „Auf Wiedersehen, Herr Lehrer (oder Frau Lehrerin), bis morgen früh!“ (auf Portugiesisch: „Adeus Sr/a Professor/a, até amanha demanha!“).
Der weiterer besonderer Moment war der Tag, an dem wir im Unterricht selber Zitronensaft machen durften. Das werde ich nie vergessen.
Woran ich mich auch gerne erinnere, ist das Ende der jeweiligen Schuljahre, wenn die Eltern in die Schule kamen und alle gespannt auf die Ergebnisse der Prüfungen warteten. Das waren sehr prägende Momente für mich, besonders, wenn ich die Nachricht bekam, dass meine Ergebnisse gut waren und ich versetzt wurde. Wobei ich auch einige Male weinte, weil ich ein Jahr wiederholen musste.
Zu der Zeit, als ich in die Schule kam, waren erst zwanzig Jahre vergangen, seit die Kolonialmacht Portugal Mosambik verlassen hatte (Mosambik wurde 1975 unabhängig). Danach folgte ein sechszehnjähriger Bürgerkrieg, von dem unsere Eltern und Lehrer sicherlich noch traumatisiert waren. Als mich mein Vater hier in Deutschland besuchte, fragte ich ihn nach seiner Schulzeit. Er meinte, seine Schule sei noch ganz anders gewesen und unsere Generation hätte „kein bisschen gelitten“. Wenn man mich heute fragt, ob ich noch Groll gegen meine Lehrer hege, würde ich Nein sagen. Sie waren wie unsere Eltern Opfer des Krieges und wussten es damals nicht besser.
Durch Gottes Gnade jedoch sind wir hier und können die Art und Weise des Unterrichts in den Schulen meines Landes überdenken und unseren Umgang mit den Schülerinnen und Schülern verbessern.